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  • AutorenbildP. Roth & G. Dazzi

Der Lange Heinrich oder das Gewicht der Geschichte

Von unserer Dachterrasse aus sieht man Teile des Hafens von Genua mit seinen verschiedenen Kränen, die 80 und mehr Meter in die Luft ragen. Einer sticht dabei sofort ins Auge: Er ist dick, grau und hat altertümliche Querverstrebungen wie der Eifelturm in Paris. «Il Langer Heinrich», wie ihn die Genueser liebevoll nennen, ist, wie so viele in dieser Hafenstadt, ein Immigrant. Anders als die vielen Nigerianer, Dominikaner und Magrebiner, stammt der Heinrich aber nicht aus dem Süden sondern aus dem tiefen Norden.

Gebaut wurde Heinrich 1915 für die Kaiserliche Werft in Wilhelmshaven. Für die immer grösser werdenden Kriegsschiffe brauchte man einen leistungsstarken und hohen Kran. Mit seinen gut 80 Metern Höhe und seiner Hebelleistung von 250 Tonnen war Heinrich der Star unter den Hafenkränen. Zudem ist der Lange Heinrich ein Schwimmkran, will heissen er ist auf einer grossen Plattform befestigt und lässt sich so in einem Hafenbecken hin und her verschieben. Nach Ende des Ersten Weltkriegs beschlagnahmten ihn die Engländen als Wiedergutmachung. Von nun an sollte «Henry» seinen Dienst in einer englischen Werft verrichten. Bei der Überfahrt gab es mitten im Ärmelkanal jedoch erhebliche Probleme, so dass die Engländer entscheiden mussten, entweder den Kran absaufen zu lassen – dies zur Schadenfreude der Deutschen – oder ihn zurück nach Wilhelmshafen zu schleppen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Heinrich erneut beschlagnahmt, nun von den Amerikanern, die ihn für ihre Zwecke in Bremerhaven einsetzten. Erst im Jahr 1958 wurde er der Bundesrepublik Deutschland zurückgegeben. Diese verkaufte den langen Heinrich in den 1980er Jahren einem griechischen Reeder, der seinerseits versuchte den schwimmenden Kran über das offene Meer zu sich nach Hause schleppen zu lassen, was ihm jedoch nicht gelang. Wenig später kaufte eine genuesische Werft den Kran. In einer aufwändigen Verschiffungsaktion, die mehrere Wochen dauerte, schafften es die Italiener, den nun 70-jährigen Heinrich, zuerst nach Sardinien und später nach Genua zu bringen.


Seit 1997 ist Heinrich in Genua zu Hause. Als «monumento di archeologia industriale» steht er unter dem Schutz des Italienischen Kulturministeriums und wurde mit dessen Unterstützung restauriert und in Stand gesetzt. Mittlerweile gibt es auch in Deutschland Kreise, die den Langen Heinrich als Monument der Deutschen Geschichte und Industrie wieder zurückhaben wollen. Die Genueser sind jedoch stolz auf ihren Immigranten aus Norddeutschland und haben ihm eine eigene Homepage gewidmet: http://www.langerheinrich.it/it/index.php.

Aber wie steht es eigentlich um Heinrichs Arbeitsbewilligung? Darf der Deutsche in der Calata delle Grazie noch immer zupacken oder ist er bereits zu alt für diese anstrengende Arbeit? Den Unbefugten und Süsswassermatrosen wird hier der Zugang leider verwehrt: «Hafensperrbezirk».

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